Fragen und Antworten zu Compliance: von Hartwin Möhrle

Das prmagazin lässt in seiner Rubrik „Die Experten“ regelmäßig Fragen zur professionellen Kommunikation von einer ausgewählten Expertenrunde beantworten. Zum prmagazin-Expertenteam gehört auch A&B One-Geschäftsführer Hartwin Möhrle. Lesen Sie hier eine Auswahl häufig gestellter Fragen zum Thema Compliance, Werte und Kommunikation und seine Antworten dazu.

Werte, Compliance, Kommunikation

Welches kulturelle Fundament braucht eine Organisation, um Compliance wirksam zu kommunizieren?

Hartwin Möhrle: Das Fundament heißt: Werteorientierung und Integrität. Kein Regelsystem der Welt lässt sich wirksam und nachhaltig orientierungsstiftend und handlungsleitend, sprich effektiv etablieren ohne den Bezug zu einem zugrundeliegenden Wertegerüst und dem konsequent daran ausgerichteten professionellem und persönlichem Verhalten. Zurecht weist die Stanford Encyclopedia of Philosophy in ihrer Definition von „Integrity“ darauf hin, dass Menschen durchaus integer auch im Sinne eines unmoralischen Wertegerüst zu handeln in der Lage sind. Es bedarf also einer eindeutigen inhaltlichen Definition der Werte, an denen sich die Menschen in einer Organisation orientieren sollen und messen lassen müssen. Die großen und auch kleinen Compliance-Skandale der letzten Jahre belegen: zu Regelverletzungen, Fehlverhalten bis hin zu kollektivem kriminellen Handeln kommt es auch mit Compliance in Vollausstattung. Die Risiken hierfür steigen, je mehr es an der glaubwürdigen, ideellen wie operativen Verbindung zwischen Regelsystem, Wertegerüst und Integrität als Handlungsmaxime mangelt. Wissenschaftliche Erkenntnisse wie praktische Erfahrungen zeigen: Effektive Risikovorsorge gegen Compliance-Verstöße braucht die Immunisierung von innen heraus. Und die funktioniert immer noch am besten über Vorbilder und vorbildhaftes Verhalten, auch und gerade in zweifelhaften Situationen.

 

Inwiefern beeinflusst die Compliance-Kommunikation die Unternehmenskommunikation?

Hartwin Möhrle: Compliance-Kommunikation ist Unternehmenskommunikation, nach innen wie auch nach außen. Regeltreue im wirtschaftlichen Handeln ist kein exterritoriales Sonderthema, sondern fester Bestandteil der Corporate Identity eines Unternehmens. Insofern beeinflusst die Kommunikation zu oder über Compliance-Themen immer auch die kommunikative Wahrnehmung eines Unternehmens als Ganzes. Die Frage kommt jedoch nicht von ungefähr. Der kommunikative Umgang mit Compliance-Sachverhalten wurde und wird immer wieder begleitet von dem Versuch der Nicht-Kommunikation – von der wir spätestens seit Watzlawick wissen, dass es sie gar nicht gibt. Der Versuch, vermutete oder tatsächliche Regelverstöße möglichst intern zu halten, ist, abgesehen von den rechtlichen Erfordernissen, auch aus kommunikativer Sicht zunächst völlig legitim und sinnvoll. Oft wird jedoch versucht, das Thema ganz aus der internen wie externen Wahrnehmung herauszuhalten. Ein in der Regel schwieriges und noch dazu mit Risiken verbundenes Unterfangen. Jede noch so dezent aufgesetzte interne Investigation kann ungewollte Wahrnehmungen und in der Folge Spekulationen auslösen. Damit diese nicht ungesteuert durch die interne Öffentlichkeit mäandern und womöglich den Weg nach außen finden, bedarf es präventiv einer plausiblen und glaubwürdigen „Storyline“, mit der intern und bei Bedarf auch extern kommuniziert werden kann. So kann das, was vertraulich bleiben soll, auch vertraulich bleiben. Gleichzeitig ist das Unternehmen sprachfähig und dokumentiert mit einer klaren Unternehmenskommunikation seine souveräne Haltung im Umgang auch mit kritischen Themen.

 
Wie offen kann und darf man Compliance-Vorfälle in der internen Öffentlichkeit kommunizieren?

Hartwin Möhrle: Natürlich sind die meisten Fälle oder Vorfälle nicht dazu geeignet, intern offen diskutiert zu werden. Sehr wohl aber sollten geeignete, als unkritische Beispiele, dazu genutzt werden, um praxisnah, konkret und anschaulich zu vermitteln, wie gute Compliance funktioniert und warum sie so wichtig ist. Je näher die Beispiele am Alltag der Menschen in der Organisation sind, desto positiver ist ihre Wirkung. Das dient nicht nur der Risikoprävention. Es gehört auch zum internen Reputationsmanagement nach dem Motto: Seht her, wie sicher und souverän wir auch mit heiklen Themen intern umgehen. 

 

Inwiefern wird Compliance überhaupt von der Öffentlichkeit wahrgenommen – und ist eine öffentliche Wahrnehmung überhaupt wichtig?

Hartwin Möhrle: Compliance wird von der Öffentlichkeit selten bis gar nicht wahrgenommen. Was durchaus im Sinne der Sache ist. Wenn über Compliance viel und laut geredet wird, ist der Anlass meistens einer, dem man eigentlich keine Aufmerksamkeit wünscht. Zunächst einmal gilt: Je weniger vom Wirken der Compliance-Abteilungen in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, desto besser für das Unternehmen. Aus der Perspektive der kritischen Öffentlichkeit wiederum darf man in dem Fall unterstellen, dass dann im Großen und Ganzen alles regelgerecht läuft.
Im engeren Sinne ist die öffentliche Wahrnehmung von Compliance also nicht sonderlich wichtig. Außer, es kommt zu einer öffentlichen Krise, die aus einem Compliance-Sachverhalt herrührt. Dann kommt es sehr wohl darauf an, einfach und gut verständlich Existenz und Wirkkraft der internen Compliance-Systeme zu dokumentieren. Was angesichts der großen Skandale der letzten Jahre immer wieder die Frage aufgeworfen hat: Warum haben die dann nicht funktioniert? Aber das ist ein anderes Thema.

 

In einer sich immer schneller wandelnden Gesellschaft verändert sich auch die kollektive Wahrnehmung darüber, was gut und schlecht ist, in einem teilweise rasanten Tempo. Wann und inwieweit sollten Unternehmen überhaupt ihre Compliance-Regelungen bezüglich solcher Werteverschiebungen anpassen?

Hartwin Möhrle: Ich bezweifle, dass sich mit der steigenden Geschwindigkeit gesellschaftlicher Veränderungen automatisch die Wahrnehmung oder gar das Bewusstsein darüber, was gut und was schlecht ist, verändert. Beim Thema Compliance haben wir es eher mit Haltungsaltlasten aus der Vergangenheit zu tun. So lange ist es noch nicht her, dass der leitende Ingenieur eines Eisenbahnherstellers straffrei und ohne Gewissensbisse sagen konnte: „Wenn ich im Land X eine Lok verkaufen will, muss für den Käufer schon ein Auto mit dabei sein.“
Unabhängig davon, ob sich die Welt nun schnell oder noch schneller dreht, eines müsste nach den Compliance-Skandalen der letzten Jahre klar sein: dass öffentlich gewordene, illegale oder illegitime Aktivitäten am Ende für die Unternehmen, Institutionen und die involvierten Personen eher schlecht als gut ausgegangen sind. Dabei haben die Akteure in der Regel genau gewusst, was noch regeltreu oder schon ein Regelverstoß war.
Opportunistische Anpassungen von Compliance-Regeln an eine gefühlte Werteverschiebung sind wenig zweckdienlich. In den Code of Conducts dieser Welt ist alles schon geschrieben, was als „Tone form the top“ zu sagen ist. Der Erfolg für werteorientiertes wirtschaftliches Handeln stellt sich doch erst dann ein, wenn Werte und Regeln selbstverständlicher und damit integritäts- und identitätsstiftender Teil von Geschäftsmodell und Managementkultur geworden sind. Integrität braucht nicht neue oder noch mehr Regeln, im Gegenteil: Entschlackung und Konzentration auf das Wesentliche tut not. Das gilt auch für das neue Schlagwort „Integrity Management“. Damit haben wir alle auf Jahre noch genug zu tun.

 

Worin sehen Sie, vor dem Hintergrund der zunehmenden Komplexität neuer Richtlinien und Regeln, die wichtigste Aufgabe der Compliance-Kommunikation innerhalb von Unternehmen?

Hartwin Möhrle: Die Rolle von Compliance wird sich zwangsläufig erweitern und damit auch die Bedeutung der Compliance-Kommunikation. Mehr denn je wird Compliance nicht nur wichtige Säule des Risiko- sondern auch aktiver Teil des Werte-Managements werden. Schließlich müssen nicht nur wachsende gesetzliche und regulatorische Anforderungen erfüllt werden, Stichwort Unternehmensgesetz und folgende. Parallel dazu steigt auch der politische und öffentliche Druck auf integre, nachhaltige und wertebasierte Unternehmensführung. Stichwort „Purpose“-Debatte.
Ihre Kernaufgaben bleibt: Sie ist das zentrale Instrument zur Umsetzung der jeweiligen Wertehaltung in ein wirksames Regel- und Hilfesystem zum Schutz von Management, Mitarbeitern und Organisation. In Zukunft wird Compliance mehr noch als bisher zum Träger und aktiven Mitgestalter eines wirksamen Integrity-Managements werden müssen. Das heißt, noch enger im Takt mit HR, Unternehmenskommunikation, Organisationsentwicklung und Management agieren. Das ist Anforderung und Chance zugleich, für ihre Positionierung nach innen und als Bestandteil des gesamten Reputationsmanagements. Schließlich geht es um nicht mehr und nicht weniger als um ein neues Wertemanagement. Wirklich neu? Vermutlich schon. Auf der einen Seiten stehen zum Teil grotesk überkomplexe, sich selbst genügende Regelstrukturen. Auf der anderen Seite scheitert die Ethikfraktion der Wirtschaft seit Jahren daran, Werte wie Integrität, Verantwortung, Vertrauen usw. aus der Moral-Ecke herauszuholen und zum handfesten Bestandteil der Wertschöpfung, sprich zum Teil des Geschäftsmodells zu machen. Dabei gehören Werte wie Integrität und Verantwortung nicht mehr nur in die CSR-Kampagnen, sondern in die Produktentwicklung, in die Produktion, ins Marketing, in den Vertrieb – ins Management hineinimplementiert. Als harte Währung und nicht nur als wirtschaftsfeuilletonistische Paraphe. In weiten Teilen der Wirtschaft erfordert das schon ein neues Denken und Handeln. Eine echte Chance für die Compliance, zum positiv akzeptierten Risikomanager und echten „Business Enabler“ zu avancieren. Dafür muss sie aber noch einiges tun, vor allem kommunikativ.

 

Häufig kommt die Compliance-Strategie eines Unternehmens bei den Mitarbeitern nicht richtig an. Statt die Richtlinien als hilfreich zu empfinden, sind einige davon eher verunsichert. Obwohl wir es gewohnt sind, in einer Welt mit Richtlinien und Regeln zu leben. Woran könnte das liegen? Und was muss man in der Compliance-Kommunikation beachten, um das zu ändern?

Hartwin Möhrle: Dafür kann es viele Gründe geben. Sind Regeln und Richtlinien eindeutig genug und ausreichend konkret formuliert? Haben sie einen nachvollziehbaren Nutzen, zum Beispiel zum Schutz vor konkreten Risiken, ob nun beim Thema Untreue oder in Sachen Kartellrecht. Wissen alle Beteiligten um die geltenden Gesetze, zum Beispiel im Ausland? Werden die Konsequenzen aus Verstößen klar genug gezogen und in der Führungskommunikation angemessen vermittelt?Es gibt immer noch viele Organisationen in Wirtschaft und Gesellschaft, bei denen selbst die informationelle Basis zum Thema Compliance lückenhaft ist. Fehlt es noch dazu an der Einbettung des Regelsystems in ein glaubwürdiges und transparentes Werte- und Normengerüst, obliegt die situative Auslegung der Regeln schnell individueller Interpretationen – mit den entsprechenden Inkonsistenzen. Kommt aus dem Management, wie vor kurzem bei einem international operierenden Mittelständler erlebt, dann noch die Ansage „Regelt das bitte vor Ort“, ist die Verunsicherung vorprogrammiert.

Zur ersten Pflicht der Kommunikation gehört neben der ausführlichen Information die wirksame Vermittlung des Sinn und Zwecks der Code of Conducts in Bezug auf die unternehmerischen oder institutionellen Ziele. Das ist auch deswegen so wichtig, weil es immer wieder zu Regelverstößen aus gut gemeintem aber falsch verstandenem Einsatz für die Organisation kommt. Dabei dient eine starke, richtig verstandene Identifikation als äußerst wirksames Mittel zur internen Immunisierung gegen alle möglichen Arten von Regelverletzungen.

 

Dass Compliance Kommunikation nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist, wissen wir wohl nicht erst seid VW. Auch, dass es nicht reicht, einen Code of Conduct in den Fahrstuhl zu hängen, ist einigen aufgefallen. Doch was sind gute Kommunikationskampagnen, wenn es zu Compliance kommt? In welchen Unternehmenskulturen /Strukturen funktioniert was? Und viel wichtiger, was nicht?


Hartwin Möhrle: Eine Kampagne ist dann gut, wenn sie entsprechend der Zielsetzung wirkt. Bei Compliance heißt das, die Menschen in ihrer Haltung und ihrem Verhalten zu bestärken, sich an die Regeln zu halten und damit die Organisation von innen heraus gegen Regelverstöße zu immunisieren. Mit welchen inhaltlichen und kreativen Kampagnenansätzen dies erreicht wird, hängt nicht zuletzt auch von den jeweiligen Anforderungen ab. Geht es um eine initiale Kampagne, die das Thema Compliance grundsätzlich einführt, sieht das anders aus, als bei einer Informationskampagne zu einzelnen Instrumenten, Richtlinien und Schulungen. 

Die eine, definitive Compliance-Kampagne gibt es nicht. Sehr wohl aber Elemente, die generell relevant sind. Dazu gehört die Verbindung zwischen übergeordneten ethischen, professionellen und kulturellen Leitwerten einer Organisation und den daraus abgeleiteten Regeln für den Alltag. Für unerlässlich halte ich die möglichst konkrete und plausible Verbindung des Regelsystems mit Geschäftsmodell und Organisationszweck. Schließlich ist Compliance kein Selbstzweck sondern sollte als Teil des Risikomanagements ein systemischer Erfolgsfaktor. Für die Umsetzung zählt die wirksame Verbindung zwischen rational-informationellen und emotionalen Elementen. Damit die Kampagne nicht zu einer Mitarbeiterbedrohungsveranstaltung missrät, sondern als ein positives Identifikationsangebot verstanden wird.

Was nicht mehr funktioniert? Bloße Info-Kampagnen, kombiniert mit dem symbolischen oder auch tatsächlich erhobenen Zeigefinger, noch dazu garniert mit düster gehaltenen Warnplakaten und Videos, in denen sich der CEO mit sehr ernstem Gesicht in schwarzer Compliance-Pädagogik übt.

 

Die richtige Kommunikation nachvollziehbarer Regeln ist Grundvoraussetzung zur Einhaltung von Compliance-Richtlinien – diese prägen auch nachhaltig die Unternehmenskultur. Doch wie kann diese Kommunikation so gestaltet werden, dass eine Compliance-Strategie auch von den Mitarbeitern aktiv mitgetragen wird?

Hartwin Möhrle: Das kann die beste Compliance-Kommunikation alleine nicht leisten. Sie spielt dabei zwar eine wesentliche und vielfach unterschätzte Rolle. Aber Regelwerke werden von Management und Mitarbeitern nur dann aktiv mitgetragen, wenn diese sich mit dem Wertegerüst identifizieren, das dahintersteht. Das ist eine Führungs- und Managementaufgabe und geht über Aufgabe und Möglichkeiten von Compliance-Abteilungen hinaus. Nicht die Compliance-Regeln schaffen eine positive Unternehmenskultur, sondern die Unternehmenskultur schafft die Basis für einen von allen Beteiligten als vorteilhaft für das Unternehmen und sich selbst empfundenen Ordnungsrahmen mit sinnvollen, nützlichen und praktizierbaren Verhaltensregeln. Mehr den je bin ich davon überzeugt, dass Werte- und Regelsysteme integraler Bestandteil von Vision, Strategie, Geschäftsmodell und Management-DNA eines Unternehmens sein müssen – als harte Währungen im wirtschaftlichen Erfolgskonzept. Gute Corporate Citizenship ohne Erfolg ist am Ende nichts wert. Folglich kann und muss wirksame Compliance-Kommunikation nur als Teil einer entsprechenden Unternehmenskommunikation funktionieren. Sonst werden Werte wie Integrität, Vertrauen, Verlässlichkeit etc. mit jeder Kampagne, die durch die Organisation gejagt wird, aufs Neue als feuilletonistischer Goodwill-Content verfeuert.

 

Wie kann Compliance an die eigenen Mitarbeiter nicht als einschränkendes Regelwerk
kommuniziert werden, sondern sie vielmehr motivieren, ihr Verhalten anzupassen?

Hartwin Möhrle: Das ist kein Gegensatz und darf auch gar keiner sein. In der Compliance-Kommunikation geht es immer darum, die Sinnhaftigkeit eines Regelwerks im Kontext der eigenen Werteorientierung und des notwendigen Regelbedarfs zu vermitteln. Grundsätzlich sollte dieser Zusammenhang von Anfang an so praxisnah und anschaulich wie möglich kommuniziert werden. Die zentrale Botschaft muss klar und unmissverständlich sein: Compliance ist Teil der Risikovorsorge, die die Organisation, die handelnden Personen, die Partner und am Ende auch die Kunden vor Fehlern und Schaden schützt. Und mehr noch: Regeltreues und integres Verhalten als fester Bestandteil von Vision, Strategie und Geschäftsmodell sollte als Business Enabler und Erfolgsfaktor vermittelt und verstanden werden können. Selbstverständlich weiß ich um die verbreitete Wahrnehmung von Compliance-Systemen als korporativen Folterwerkzeugen. In der Tat haben steigende rechtliche wie ethische Anforderungen und die großen und kleinen Skandale der letzten Jahre zu einer in Teilen nachgerade militanten Regelwut geführt. Hier wieder etwas pragmatischer, will sagen vernünftiger zu werden, täte der Akzeptanz von Compliance sicher gut. Dann würden sich notwendige Verhaltensanpassungen auch im Rahmen halten.

Wie misst man eigentlich verlässlich den Erfolg bei Compliance?

Hartwin Möhrle: Ein Großteil der zur Erfolgsmessung bei Compliance-Systemen definierten quantitativen Messparameter sagt über deren Wirksamkeit soviel aus wie der nach EU-Norm gemessene Verbrauch eines Verbrennungsmotors über die tatsächliche Menge des bei Normalbetrieb verbrannten Sprits. Damit lässt sich alles Mögliche messen, nur nicht die tatsächliche Qualität der Verbindung von Werte- und Regelsystemen, von formell und informell herrschenden Kulturen in Organisationen. Die valide Kenntnis der kulturstiftenden Wechselwirkung von formellen und informellen Verhaltens- und Wertemuster jedoch ist für die Wirksamkeit von Compliance-Maßnahmen entscheidend. Und nur wer sie kennt, kann sie auch messen, beurteilen und die notwendigen Schlüsse ziehen.

Zur Analyse von Unternehmenskulturen greift die Kommunikationsforschung auf das etablierte Instrument der qualitativen Multiplikatorenbefragung zurück. Deren Erkenntnisqualität reicht weit über die der quantitativ zählbaren Faktoren hinaus. Sie vermittelt ein tiefgreifendes Verständnis für die komplexen individuellen Zusammenhänge und Wirkungsmuster von werte- und regeltreuem Verhalten. Damit werden belastbare Grundlagen geschaffen für wirksame, auf die jeweilige Organisation und ihre Eigenheiten passenden Strategien, Methoden und Instrumente zur Vermittlung und Verankerung von Werten und Regeln – und deren Wirkungskontrolle. Die Methoden und Instrumente der professionellen Kommunikation zur Erhebung und Veränderungen von Einstellungen und Verhaltensweisen sind in der Compliance noch weitgehend unbekannt. Im Hinblick auf die aktuelle Diskussion, nach der die Compliance in Zukunft viel mehr noch als bisher zum Träger und Treiber eines umfassenden Integrity-Managements werden soll, werden sie umso erfolgskritischer.

Das kann Compliance alleine nicht leisten. In erster Linie ist das die Aufgabe von Führung und Management. Und daran müssen alle relevanten „Corporate Functions“ mitwirken, von der Compliance über die Kommunikation bis hin zu HR. Denn von einem messbaren Erfolg können alle erst dann sprechen, wenn Integrität tatsächlich zur professionellen Handlungsmaxime und integres Verhalten im Alltag zum „inneren Bedürfnis“ (Dietmar Will, CCO Audi AG) von Mitarbeitern und Management geworden ist.

 

Inwiefern können Kommunikationsagenturen Unternehmen bei der Umsetzung von Compliance-Regularien unterstützen?

Hartwin Möhrle: Bei der Umsetzung von Compliance-Regularien geht es kommunikativ gleich um mehrere Dinge gleichzeitig. Zunächst natürlich um die umfassende und verständliche Information über die Richtlinien, Regeln und Instrumente, die es zu kennen, zu befolgen und zu nutzen gilt. Idealerweise geht das einher mit der Vermittlung von Sinn und Zweck dieser Regeln und Instrumente. Gerade hier hapert es in der Praxis. „Warum brauchen wir all diese Vorschriften und Prozeduren überhaupt?“ lautet nach wie vor eine vielfach gestellte Frage. Und nimmt man die aktuelle Debatte über Compliance als wichtige Säule eines Integritätsmanagements, wird die Vermittlungsaufgabe noch komplexer. Das hat dann weniger mit Wissen oder Nichtwissen, aber viel mit Verständnis und Einsicht und noch mehr mit Verinnerlichung und Identifikation zu tun. Häufig verbirgt sich hinter dem vergleichsweise unspektakulären Begriff der Compliance-Kommunikation ein waschechter Change of mind-Prozess. Spätestens hier übersteigen die damit verbundenen kommunikativen Anforderungen in vielen Fällen die Kernkompetenzen der Compliance-Managerinnen und –manager. Zunächst gilt es, die hausinternen Kommunikationsverantwortlichen zu Rate zu ziehen. Auf jeden Fall können externe Kommunikationsagenturen zur Unterstützung dieser Prozesse äußerst hilfreich sein. Vorausgesetzt, sie verfügen über Erfahrung in Transformations- und Changeprozessen, in der internen Kommunikation und – in diesem Fall zwingend – über ein ausgeprägtes fachliches Verständnis für das Thema Compliance selbst. Dann können sie bei der Umsetzung von Compliance-Regularien wirksame, wenn nicht sogar erfolgskritische Vermittlungsarbeit für eine funktionierende Compliance leisten.

 

 

Werbung, Influencer und Compliance

Braucht es allgemeine Compliance-Richtlinien in Agenturen und Unternehmen für den Umgang mit Influencern, um dem Wust an Kennzeichnungsarten für Inhalte entgegenzuwirken? Und: Stößt das Geschäftsmodell „Influencer Marketing“ demnächst an seine Grenzen?

Hartwin Möhrle: Ich halte klare Regeln für den Umgang mit Influencern für äußerst sinnvoll, und zwar für beide Seiten. Im Zuge der zunehmenden Professionalisierung von Influencer-Kommunikation und –Marketing entstehen Regeln, allein schon, um die Glaubwürdigkeit der Influencer und der Agenturen, die mit ihnen arbeiten, aufzubauen und nachhaltig zu festigen. Darin spielen auch, wegen der vielen Fälle von schlecht gemachtem Product Placement und kaum verkappter Werbung, die compliancerelevanten Sachverhalte eine zunehmende Rolle. Alle Beteiligten müssen sie kennen und sollten sie beherzigen. Sonst ist das Risiko, schnell in die Schummler-Ecke zu geraten, erheblich. Abgesehen davon: die Zielgruppen der Influencer erwarten, das ihnen diese durch den Dschungel des Überangebots, der Unübersichtlichkeit und Austauschbarkeit von Produkten und produktbegleitenden Leistungen und Services helfen. Nur wer glaubhaft diese Orientierungsleistung dauerhaft vollbringt, kann auch dauerhaft erfolgreich sein. Wer das nicht kann und will, bringt das Geschäftsmodell „Influencer“ schneller an seine Grenzen als ihm lieb sein kann.

 

 
Influencer und Schleichwerbung sind ja ein Dauerbrenner. Aus Sicht der Compliance, was ist der Worst-Case für ein Unternehmen und warum?

Hartwin Möhrle: Was am Ende ein Worst Case ist, hängt nicht zuletzt von der Art des Produktes, der Reputation des Herstellers und der damit verbundenen Bedeutung für entsprechende Zielgruppen und deren Kaufverhalten ab. Wenn zum Beispiel als besonders glaubwürdig angesehene Influencer dabei ertappt werden, dass sie als persönliche Meinung ausgeben, was schlicht getarnte und bezahlte Werbung ist, kann das tiefe Dellen in die Reputation der Marke und des Unternehmens drücken. Passiert vergleichbares einem Billigmodelabel, bei dem sich dauerpubertierenden Youtube-Hipster blöderweise verquasseln, mag der Schaden vergleichsweise gering ausfallen.

Heikel ist es auf alle Fälle, wenn herauskommt, dass alles Lüge ist, was als persönliche Begeisterung für Produkte, Leistungen Dienste und Themen daherkommt. Es beschädigt nicht nur die Glaubwürdigkeit der in dem Fall so genannten Influencer und damit ihre Personenmarke. Es kontaminiert auch Produkt und Hersteller mit dem Odium des Unehrlichen. Und es dokumentiert einen eklatanten Verstoß gegen die Regelkultur innerhalb der Organisation. Falls dort so etwas überhaupt vorhanden ist. Insofern sollte – im konkreten Fall unter Wahrung von Datenschutz und Unschuldsvermutung – auch nach innen klar und deutlich gesagt werden, was unternehmerische Leitkultur ist und was dagegen verstößt. Der Worst Case wäre nämlich, wenn Regelverletzung oder gar illegales Verhalten zur heimlichen Gewohnheit wird. Das wird am Ende dann richtig teuer.

 

Ist es aus Compliance-Sicht vertretbar, Bloggern und Influencern Produkte zu überlassen?

Hartwin Möhrle: Ein guter Freund testet regelmäßig Motorräder, Skier und andere Dinge des ambitionierten Zeitvertreibs für eine große deutsche Tageszeitung. Nach getaner Arbeit gibt er die zur Verfügung gestellten Testobjekte wieder zurück. So, wie es die Redaktionsvorschriften verlangen. Und so, wie es seinem Selbstverständnis als unabhängiger Journalist entsprechend auch zu sein hat.
Die Qualitätsmedien haben Fragen zur Produktüberlassung zwecks Berichterstattung längst und in der Regel eindeutig geklärt. In der neuen Multiplikatorengeneration der Blogger und Influencer ist da noch vieles unklar. Je wichtiger deren Protagonisten werden, desto schneller müssten jede und jeder für sich klären, inwieweit die ungeregelte Überlassung von Testobjekten die eigene Unabhängigkeit und damit Glaubwürdigkeit als vertrauenswürdiger Meinungsbildner unterhöhlt wird.
Insofern ist die Antwort auf die Frage – wieder mal – einfach und kompliziert zugleich: Es ist schlicht notwendig, Produkte denen zu überlassen, die sie testen, begutachten und darüber reden und schreiben sollen. Ich rate jedoch sowohl Unternehmen wie auch professionell langfristig ambitionierten Bloggern und Influencern dazu, die Modalitäten der Überlassung und Rückgabe in einem einfachen, klaren und transparenten Verfahren zu regeln. Gerade bei letzteren wird die persönliche Unabhängigkeit und Glaubwürdigkeit – wie im klassischen Qualitätsjournalismus – zum besonders hohen Gut der individuellen Markenbildung. Daraus speist sich ihre Überzeugungskraft, daraus erwächst ihr Marktwert für jene Unternehmen, deren Produkte sie testen und empfehlen sollen – wenn diese halten, was sie versprechen. Aber das ist ein anderes Thema.

 

Viele Social Media Influencer und Blogger bieten Agenturen bezahlte Kooperationen an, ohne diese dann in ihren Posts und Beiträgen entsprechend zu kennzeichnen. Mit welchen Konsequenzen müssen die Influencer rechnen?

Hartwin Möhrle: Sie laufen Gefahr, wegen Verstoß gegen die Kennzeichnungspflicht von Werbung und damit wegen wettbewerbswidrigem Verhalten abgemahnt zu werden. Und nicht nur sie, auch die Agenturen, die sie beauftragen, können belangt werden. Zum Beispiel von solchen Abmahnern wie dem Verband Sozialer Wettbewerb. Das kann teuer werden. Die Online-Ausgabe des Branchenmagazins HORIZONT vom 7. Mai 2018 berichtet von der Bloggerin Vreni Frost, die abgemahnt wurde, obwohl sie Werbung und Pressereisen prominent markiert hatte. Sie gehört zu jenen Influencerinnen, denen Transparenz wichtig ist, und die die Kennzeichnungspflicht für rein werbliche Aussagen ernst nehmen. Sie wissen: Als Personenmarke sind sie ihr eigenes und einziges Produktionsmittel. Und ihre aus Kompetenz und persönlicher Überzeugungskraft entwickelte, individuelle Empfehlerqualität ist ihr wichtigstes Asset. Leidet die Glaubwürdigkeit der Marke, geht es schnell an die Substanz. Nicht nur das PR-Journal fragt schon nach dem „Ende des Hypes“ durch Abmahnwellen und Glaubwürdigkeitsprobleme. Diverse Untersuchungen bestätigen, dass mit zunehmender Etablierung von Influencern als Teil der kommunikativen Wertschöpfungskette die Währung Glaubwürdigkeit an Härte gewinnt. Denen, die sich als nachhaltig erfolgreiche Influencer-Marke etablieren wollen, empfehle ich, den Reputationsschutz der „Eigenmarke“ hoch zu bewerten. Das heißt: Macht transparent und unterscheidbar, was bezahlte Werbung und was persönliche, unabhängige Empfehlung ist. Wer das vermengt, bekommt nicht nur Ärger mit dem Gesetz.

 

Welche Rolle spielt der deutsche Kommunikationskodex in der gelebten Praxis der PR?

Hartwin Möhrle: Man könnte die Frage noch zuspitzen: Spielt er überhaupt eine Rolle? Ich sage ja, weil die Grundwerte, die dem Kodex einer professionellen, das heißt wirksamen, legitimen und gesellschaftlich akzeptierten Öffentlichkeitsarbeit zugrunde liegen, schließlich aus einer erfolgreichen Praxis heraus entstanden sind. Sie hat den Berufsstand zu dem gemacht, was er heute ist. Was auch dazu geführt hat, dass professionelle Kommunikation insgesamt ein wichtiges und anerkanntes Instrument öffentlicher Meinungsbildung geworden ist. Und ein faszinierender Beruf gleichermaßen. Nein, weil das selbstverständlich nur die halbe Wahrheit ist. In der täglichen Praxis spielt der Kommunikationskodex, wie auch kein anderer Codex, eine permanente, die tägliche Arbeit direkt beeinflussende Rolle. Kodizes bilden einen Orientierungsrahmen, innerhalb deren die Menschen idealerweise ganz selbstverständlich entsprechend seiner inhaltlichen Parameter denken und handeln. Herangezogen werden Kodizes in der Regel erst dann, wenn besonders knifflige oder kritische Sachverhalte zu diskutieren und zu entscheiden sind. Zum Beispiel beim Thema Transparenz. Da gäbe es einiges zu sagen. Doch das ist ein anderes Thema. Grundsätzlich ist es ein gutes Zeichen, wenn unser Job nicht durch tägliche Kodize-Exerzitien geleitet werden muss, sondern durch das ihm innewohnende Selbstverständnis.

 

Warum ist es bisher noch nicht gelungen, einen einheitlichen Ethik-Kodex in der PR durchzusetzen, den PR-Agenturen und Kommunikationsabteilungen von Unternehmen bei ihrer Öffentlichkeitsarbeit verbindlich befolgen müssen?

Hartwin Möhrle: Auf den ersten Blick gibt es eine vergleichsweise einfache Antwort: Weil die Interessen zu unterschiedlich sind und keine Seite so einfach bereit ist, eine Limitierungen der eigenen, nennen wir es mal, kommunikativen Gestaltungsmöglichkeiten durch einen einheitlichen Kodex einschränken zu lassen.
Will man es sich nicht ganz so einfach machen, wird die Sache gleich richtig kompliziert. Ein einheitlicher PR-Kodex, der für Agenturen wie Unternehmen gleichermaßen Geltung haben könnte, würde womöglich zu einem sehr breiten Kompromisspapier werden. Und solchen Kompromissen ist zu zeigen, dass sie im Detail oder in Grenzsituationen nicht die nötige Klarheit und Präzision besitzen, um ihre regulative Wirkung im professionellen Alltag tatsächlich entfalten zu könnten.
Dritte Möglichkeit: Wir stellen die Gegenfrage. Braucht die Branche eigentlich einen einheitlichen PR-Kodex? Es existieren bereits eine beträchtliche Zahl an Kodizes in der disziplinenübergreifend betrachteten Kommunikationswirtschaft. In denen stehen viele richtige Dinge drin, es ist eigentlich alles schon gesagt. Und niemand in unserer Profession kann sich im Ernst auf Nichtwissen und Unkenntnis berufen, wenn Dinge getan werden, die unethisch, diskriminierend, lügnerisch oder gar ungesetzlich sind. Ich habe meine Zweifel, ob ein solches Dokument einen tieferen Sinn und die PR zu einer besseren machen würde, als sie ist.

 

 

Compliance in der Praxis

Der PR-Chef unseres größten Kunden will seine Tochter zum Praktikum in unserer Agentur unterbringen. Das schafft nur Probleme. Absagen können wir aber logischerweise auch nicht. Was tun?

Hartwin Möhrle: Gut, wenn man in den AGBs oder den agenturspezifischen Vertragsbedingungen Compliance-Regeln aufgenommen hat, die solche Konstellationen ausschließen. Doch wie viele Agenturen haben das schon? Denken wir zunächst mal pragmatisch: Es kommt sicher darauf an, ob es um ein zweiwöchiges Schülerpraktikum geht oder um ein mehrmonatiges Praktikum. Bei ersterem kann das schon problemlos mal möglich gemacht werden. Bei längeren Praktika kann das schwierig werden.

In einem mehrmonatigen Praktikum, das seinen Namen verdient, wird es unweigerlich Situationen zu Situationen kommen, in denen die Praktikantin auch als Tochter des Kunden wahrgenommen wird. Das nimmt dann Einfluss auf die Arbeit, kann zum Problem werden. Die Frage ist: Will man das sich und den Mitarbeitern zumuten? Grundsätzlich sollte zweifelsfrei klar sein, dass die Tochter nicht als U-Boot benutzt wird, also sie und ihre Vater die Situation professionell und mit der nötigen Sensibilität handhaben. Das sollte mit allen Beteiligten auch klar besprochen werden. Sehen sich alle dazu in der Lage, kann das vielleicht gehen. Gibt es daran aber auch nur den geringsten Zweifel, geht es gar nicht – ob mit oder ohne Compliance-Regeln. Dann sollte man den Mut haben, das seinem größten Kunden auch zu vermitteln. Ein gutes Agentur-Kundenverhältnis verträgt das.

 

Ist es möglich, dass Kunden die Einladung zu einem gemeinsamen Geschäftsessen bereits aus Compliancegründen absagen? Wie weit geht die Compliance-Sensibilität in den deutschen Unternehmen momentan?

Hartwin Möhrle: Möglich ist das schon. Die Compliance-Sensibilität geht zumindest in Teilen der deutschen Wirtschaft schon sehr weit. Was auch in Ordnung ist. Wer über ein ordentliches Compliance-Regelwerk verfügt, hat die Frage von Einladungen darin längst so geregelt, dass alle wissen, wozu sie sich einladen lassen können und wozu nicht. Und im Zweifel gilt immer: Bei Vorgesetzten oder Compliance-Kollegen nachfragen und den Sachverhalt vorab klären lassen.
Nicht in Ordnung dagegen ist die verbreitete Neigung, aus Selbstschutz heraus die Dinge möglichst bis ins kleinste Detail hinein zu regeln: Gilt die Einladung auf ein Glas Wasser im Café noch als unbedenklich, wird schon dem Cappuccino aus Compliance-Gründen die Genehmigung verweigert. Spätestens hier wird es grotesk. Mancherorts ist der regulatorische und öffentliche Druck in eine geradezu militante Risikovermeidungsbürokratie ausgeartet. Derartige Flächengängelung ganzer Managementetagen erzeugt fatale Nebenwirkungen. Wird damit doch genau das ausgebremst, was die Managementliteratur buchmeterweise als modernes und erfolgskritisches Managerideal beschreibt: Mut zu ungewöhnlichen Lösungen, wo Routinen nicht mehr ausreichen, Kreativität und Einfallsreichtum, wo ausgetretene Wege nicht mehr weiterführen, eigenverantwortliches Entscheiden und Handeln, kalkulierte Risikobereitschaft und so weiter. Sicher gehört heute zur Managementkompetenz die Fähigkeit, „out oft he box“ zu denken und dennoch regeltreu zu handeln. Dazu braucht es aber Compliance-Systeme, die von Grund auf als „business enabler“ im rechtlich und ethisch gesetzten Rahmen gedacht und konzipiert sind und nicht als präventive Sicherungsverwahrung für latent risikoverdächtige Führungskräfte.

 

Thema Auskunftspflicht über Gehälter bei vergleichbarer Position: Unsere Personalabteilung mauert und nimmt träge und bürokratisch Stellung. Bei den Mitarbeiter/innen organisiert sich Unmut. Auch im Intranet und Social Media kommt das Thema im Zusammenhang mit unserer Firma schlecht weg. Was sollte man kommunikativ machen? Die Compliance einschalten? Aktiv werden, auch wenn das von den Personalern nicht akzeptiert ist?

Hartwin Möhrle: Besteht der begründete Verdacht, dass Frauen bei vergleichbarer Tätigkeit und Position schlechter bezahlt werden als Männer, ist die Compliance-Abteilung schon die richtige Adresse – aber sicher nicht die einzige. Hier geht es zwar auch um einen klaren Regelverstoß, das Problem allerdings ist vielschichtiger und die dafür ursächlichen Mechanismen bekanntermaßen subtiler. Deshalb ist es allemal legitim, das Thema an direkte Vorgesetze, die Personalabteilung und das Management zu adressieren. Und wenn, wie im konkreten Fall, das Thema offensichtlich schon unternehmensöffentlich diskutiert wird, ist es höchste Zeit, dass sich die verantwortlichen Männer (und Frauen?) ernsthaft damit beschäftigen und wenn nötig, das Gehaltsgefüge entsprechend anpassen.

 

Unser Unternehmen wird Hauptsponsor eines Zweitligisten. Das Management des Clubs sähe es gerne, wenn unsere Mitarbeiter im Outfit des Co-Sponsors (Sportartikelhersteller) bei Events auftreten. Sollten wir dies als Wunsch der Unternehmensleitung kommunizieren? Oder geht das auch über eine Dienstanweisung?

Hartwin Möhrle: Entscheidend ist, ob es eine dienstliche Veranstaltung ist oder ob das Unternehmen die Mitarbeiter bittet, in ihrer Freizeit an Events des Sponsorpartners teilzunehmen. Dann kann zwar ein entsprechender Wunsch geäußert werden, der bleibt aber unverbindlich. Legitim ist auch, die Abgabe von Freikarten mit der Bedingung zu verknüpfen, bestimmte Kleidung zu tragen.
Handelt es sich jedoch um eine echte Dienstveranstaltung, kann der Arbeitgeber verbindliche Bekleidungsvorgaben machen. Allerdings darf der Dresscode keine Persönlichkeitsrechte der Betroffenen verletzten. Die Kleidung muss zudem unentgeltlich und passend zur Verfügung gestellt werden.
Unabhängig von arbeits- und compliance-rechtlichen Aspekten wäre es allerdings klug, zunächst das Sponsoring-Engagement des Unternehmens insgesamt überzeugend nach innen zu vermitteln. Ebenfalls ratsam ist es, zu überprüfen, ob das Sponsoring-Engagement akzeptiert und für gut befunden oder eher abgelehnt wird. Bei letzterem würde ich zumindest kritisch überprüfen, ob der Weg einer Dienstanweisung inklusive Kleidungsvorschrift sinnvoll ist. Sonst wird aus einem identitätsstiftend gemeinten Event schnell ein internes „Trikot-Gate“. Ein vermeidbarer kommunikativer Kollateralschaden, der in die Sponsoring-KPIs mit eingepreist werden müsste.

 

Unser Team soll eine PR-Strategie für ein gemeinsames Projekt mit einer russischen Firma entwickeln. Einige Mitarbeiter streiken aufgrund der politischen Situation. Wie geht man damit um?

Hartwin Möhrle: Allein die Tatsache, dass es sich um eine russische Firma handelt, legitimiert noch keinen „Streik“. Wie bei jedem Mandat gilt es zunächst zu prüfen, ob Geschäftsgegenstand und Geschäftsgebaren eines Auftraggebers und seiner Manager a) legal und b) unter ethisch-moralischen Gesichtspunkten auch legitim bzw. legitimierbar ist? Gibt es Zweifel, würde ich eine Zusammenarbeit grundsätzlich in Frage stellen. Schließlich geht es um die eigene Reputation, vor allem jedoch um den Schutz der eigenen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter vor möglicherweise schwerwiegenden Dilemma-Situationen.
Ist dem nicht so, dann rate ich dazu, mit den Mitarbeitern über die Gründe ihrer Haltung zu sprechen. Viele Bedenken lassen sich auflösen, wenn die eigenen Kriterien für ethisch vertretbares wirtschaftliches Handeln transparent gemacht werden – und wo die Grenzen sind, sprich im Zweifelsfall auch rechtzeitig die Reißleine gezogen wird.
Grundsätzlich gilt: Solange eine Regierung anerkannter Teil der Völkergemeinschaft ist, gibt es kein pauschales Recht darauf, einen Zusammenarbeit mit Unternehmen dieses Landes zu verweigern, nur weil man mit dessen Regierungspolitik nicht einverstanden ist. GleichwohI: In Zeiten, in denen unter dem Deckmantel legaler staatlicher Strukturen zweifelhafte wirtschaftliche und politische Verhaltensmuster eine besondere Konjunktur erleben – von der 1600 Pennsylvania Ave über den Roten Platz bis hin zum Bosporus – muss jeder Zweifel an sauberen Geschäften besonders genau geprüft werden.

 

Unsere Firma könnte von einem chinesischen Investor übernommen werden. Die Mitarbeiter sind wegen der unterschiedlichen Wertevorstellungen im Geschäftsleben alarmiert. Sind die Sorgen berechtigt?

Hartwin Möhrle: Die Sorgen sind berechtigt. Da prallen – nicht nur unter Compliance-Gesichtspunkten – zum Teil sehr unterschiedliche professionelle und kulturelle Wertvorstellungen, Verhaltensregeln und -weisen sowie Gepflogenheiten aufeinander. Wenn also schon bekannt ist, dass es zum möglichen Verkauf an chinesische Investoren kommen könnte, ist es ratsam, die oft diffusen, nicht selten vorurteilsbeladenen Ängste durch eine klare und sachliche Informationspolitik zu entdramatisieren. Dabei stellt ein chinesischer Investoren mit wenig interkultureller Erfahrung sicher eine größere Herausforderung dar, als Investoren, die bereits über umfängliche Erfahrungen in der Übernahme und dem Management ausländischer oder gar deutscher Firmen verfügen. Wichtig hierbei: der Austausch mit Unternehmen, die solche Prozesse bereits durchlebt haben. Abgesehen davon gibt es in Deutschland viele, auch mittelständische Unternehmen, die seit vielen Jahren selbst in China aktiv sind. Erfahrung aus dieser Perspektive kann ebenfalls extrem hilfreich sein. Nicht nur, aber ganz sicher auch bei dem Thema Compliance.

 

Jörg Kachelmann geht nicht mehr alleine mit einer Frau in einen Aufzug. In unserer Agentur (80 Mitarbeiter) ist die Atmosphäre zwischen Mann und Frau sehr locker. Bislang gab es nie Probleme aber Vorlagen für Klagen gäbe es genug. Besteht Handlungsbedarf?

Hartwin Möhrle: Was genau heißt den „sehr locker“? Und dass es „nie Probleme gab“ bedeutet nicht automatisch, dass einzelne mit geduldetem Kollektivverhalten keine Probleme haben können. Wenn es dafür Vorlagen genug gibt, lohnt es allemal, genauer hinzuschauen. Oder besser noch, zunächst in persönlichen Gesprächen genau hinzuhören, ob die corporative Lockerheit für alle gleichermaßen souverän, selbstbestimmt und damit jederzeit zwanglos im eigentlichen Wortsinne gelebt werden kann. Sollte die „Lockerheit“ nicht von allen als gleichermaßen zwanglos empfunden werden, dann handeln Sie – zum Schutz sowohl einzelner als auch der guten Atmosphäre in Ihrer Agentur. Das funktioniert nicht über eine neue „Lockerheits“-Regel in den Agenturstatuten. Auch wenn es Juristen nicht gerne hören: In so einer Situation geht es vor allem um die informelle Regelkultur einer Organisation und dem daraus gewünschten und tolerierten individuellen Verhalten.

 

Im Juni 2019 hat die erste offizielle Beratung der EU-Justizminister zu einem Entwurf einer neuen EU-Richtlinie zum Schutz von Whistleblowern stattgefunden. Wie reagiert eine Agentur am besten, wenn ein Mitarbeiter sich verantworten muss?

Hartwin Möhrle: Der diskrete Hinweis auf Vorgänge, die nicht in Ordnung sind, hat grundsätzlich nichts verwerfliches. Werden in dem Zusammenhang konkrete Personen beschuldigt, ich gehe jetzt gemäß Frage mal von Verstößen gegen die Ethischen Standards einer Agentur aus, müssen die Verantwortlichen den Anschuldigungen diskret, konsequent und ohne jede Vorverurteilung nachgehen. Kommt Vorgang und Identität des „Whistleblowers“ ans Tageslicht, ist Klarheit und, soweit nötig, Transparenz gefordert. Klarheit zum Schutz der Hinweisgeber, wenn diese eindeutig im übergeordneten Interesse der Agentur und nicht in denunziatorischer Absicht gehandelt haben. Transparenz insoweit, dass die Verantwortlichen darlegen, wie sie mit der Situation umgehen, was sie zum Schutz der Agentur aber auch zum Schutz der involvierten Personen inklusive der Beschuldigten selbst tun. Ich rate in so einem Fall zu kontrollierter Offensive, nicht zu verwechseln mit der so oft und schnell geforderten Offenheit. Es geht nicht darum, alles offen zu legen, sondern plausibel und nachvollziehbar zu machen, warum konsequentes Handeln zum Schutz von Organisation und Mitarbeitenden richtig ist. Dazu gehört auch, warum Unschuldsvermutungen so lange zu gelten haben, bis eine Schuld bewiesen ist. Und wenn die Verantwortlichen dann noch angemessene Gelegenheiten schaffen, in denen diejenigen, die die Dingen ins Rollen gebracht haben, erklären können, warum ihnen das Wohl aller wichtiger war, als das Wegsehen von unkorrekten Kollegen, dann haben sie richtig viel richtig gemacht.

 

 

Krisenkommunikation und Compliance

Wieso fällt es Unternehmen in Krisenzeiten so schwer, Transparenz gegenüber den Konsumenten zu zeigen? Wäre ein offener und ehrlicher Austausch auf Augenhöhe nicht der beste Weg, für Verständnis und Empathie zu sorgen, um die Konsumenten nicht zu verlieren?

Hartwin Möhrle: Im Krisenmanual einer großen deutschen Institution steht: „Seien Sie offen und ehrlich“ und „Teilen Sie auch schlechte Nachrichten umgehend mit“. Das ist nicht nur Unsinn, sondern auch gefährlich, vor allem in der Krise. Transparenz ist kein Wert an sich. Das sagte selbst der Gründer von Transparency International, Peter Eigen. Dennoch raten nicht nur die Gralshüter des Investigativ-Journalismus sondern auch viele PR-Berater dazu, gerade in kritischen Zeiten vor allem offen, ehrlich, transparent und – als Steigerung das Ganzen – auch noch möglichst authentisch zu agieren. Corporatives Gutmenschentum als Melange einer seltsamen Ideologie-Koalition kritischer Journalisten und gutmeinender Berater? So wird Transparenz zur PR-Chimäre.

In den meisten Krisenfällen, ob nun Unfall, Verbrechen oder Skandal, geht es um eine ganz spezifische Transparenz: die Transparenz über den Umgang mit dem Problem. Typisch für die erste Phase einer Krise ist, dass zum krisenauslösenden Sachverhalt oft nichts Klares gesagt werden kann, weil einfach noch vieles unklar ist. Oder weil etwa juristische Risiken noch völlig unkalkulierbar sind. Alles legitime Gründe, die Sachverhalte für sich zu behalten, die man selber noch nicht versteht und die unabsehbare Risiken für die eigene Organisation, für Management und Mitarbeit und die Stake- und Shareholder bringen könnten. Das ist schwer zu vermitteln. Allein der Vorwurf mangelnder Transparenz produziert ja schon den Verdacht, es gäbe etwas zu verbergen. Im Klimax öffentlicher Aufregung wird mit falsch verstandener Transparenz in der Regel nichts Gutes erreicht. Im Gegenteil.

Von der ersten Minute der Krisenbewältigung geht es darum, Haltung, Verhalten und Vorgehen zu vermitteln: Wir wissen was wir tun, um das Problem in den Griff zu bekommen. Das tun wir in höchster Verantwortung für Menschen, Tieren, Umwelt und Werte. Genau das gilt es, transparent zu machen: Die Art und Weise wie man mit der Krise umgeht, wie professionell man an deren Bewältigung arbeitet und mit welcher Haltung das geschieht. Das produziert Glaubwürdigkeit und schafft im Übrigen die notwendige Vertrauensbasis für die reputative Rekonvaleszenz nach einer Krise.

 

Krisenkommunikation und Compliance. In den meisten Fällen ist es so, dass bei Krisenkommunikation die Agentur im Hintergrund bleibt und im Namen des Unternehmens auftritt. In den Medien ist es in letzter Zeit schon häufiger dazugekommen, dass Konsumenten das aktiv angesprochen haben und Transparenz von Unternehmen verlangen. Wie sehen Sie hier die Weiterentwicklung? Sind das nur Einzelfälle oder ist das etwas, was Agenturen zukünftig in Krisenkommunikationsmaßnahmen beachten müssen?

Hartwin Möhrle: Das Phänomen ist weder neu noch besonders selten. Grob umrissen gibt es in der medialen wie allgemeinen Öffentlichkeit zwei Fraktionen: Die Einen finden nichts Ungewöhnliches daran, dass Unternehmen – zumal in außergewöhnlichen Belastungssituationen – externe kommunikative Hilfe in Anspruch nehmen. Die Anderen wiederum finden das verdächtig bis anstößig, sehen sich gar in Ihrem vermeintlichen Grundrecht auf totale Transparenz und Authentizität beschränkt. Abgesehen davon, dass es dieses Recht nicht gibt, müssen Agenturen die möglichen Reaktionen gerade bei öffentlichkeitssensiblen Sachverhalten – Bestechung, Unterschlagung, Kartellvergehen zum Beispiel –selbstverständlich immer beachten und in die Beratungssituation mit einbeziehen.
Dann geht es darum, zusammen mit dem Auftraggeber ein der jeweiligen Situation angemessenes, effizientes und möglichst störungsfrei kommunizierbares Modell der Zusammenarbeit aufzusetzen. Option A: Die Agenturmitarbeiter agieren konsequent als Angehörige des Unternehmens. Damit das professionell und überzeugend gelingt, rate ich dringend zum Einsatz erfahrener Berater oder Senioren. Agenturen mit dem Geschäftsmodell Praktikanten an die Front sind dafür ungeeignet. Option B: Die Agentur gibt sich auf Nachfrage ganz selbstverständlich als externe Pressestelle zu erkennen. Wenn dann der Redakteur der überregionalen Tageszeitung darauf besteht „nur mit jemandem von Unternehmen selbst zu sprechen“, hilft in der Regel ein einfacher Satz: „Danke für Ihren Anruf. Ich leite ihre Anfrage unverzüglich an die Verantwortlichen weiter. Sie erhalten schnellstmöglich eine Rückmeldung.“ So bleibt genügend Zeit mit dem Kunden zu bewerten, welche Priorität der Medienkontakt hat und wie die Kontaktaufnahme seitens des Unternehmens aufgenommen und fortgeführt wird.